Die Corona-Pandemie reist ein Loch in die Kassen aller EU-Staaten. Die wirtschaftlichen Folgen sind noch nicht absehbar für die Europäische Union.
Was ist also zu tun? Die EU-Finanzminister suchen nach Antworten. Sie versammeln zu einer Video-Konferenz.
Ziel ist es, sich darauf zu verständigen, was politisch möglich ist, ohne auszuschliessen, dass die Staats- und Regierungschefs in ein paar Wochen noch nachbessern können.
Fragen und Antworten zu den Optionen, die auf dem Tisch liegen.
Was hat die EU bisher an Massnahmen beschlossen, um die europäische Wirtschaft zu stützen?
Die Länder der Eurozone dürfen sich wegen der Corona-Krise stärker verschulden. Der Euro-Stabilitätspakt wurde ausgesetzt.
Darüber hinaus erlaubt die EU-Kommission, dass Staaten einzelne Unternehmen oder Branchen finanzielle direkt unterstützen mit Steuererleichterungen oder Direktzahlungen. Darum wurden die strengen Vorgaben für Subventionen gelockert.
Die EU-Kommission lagert rund 66 Mrd. Euro um aus dem laufenden EU-Budget, um die Folgen der Krise abzufedern.
Die Europäische Investitions-Bank EIB unterstützt kleine und mittlere Unternehmen mit Investitionen von 40 Mrd. Euro.
Schliesslich hat die EZB beschlossen, für 750 Mrd. Euro Staatsanleihen zu kaufen. Damit senkt sie die Schuld-Zinsen namentlich für Länder wie Italien und Spanien, die nun viel Geld aufnehmen müssen.
Die Staatsausgaben werden dieses Jahr stark ansteigen, wegen der Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Bekämpfung der die Corona-Pandemie.
Was liegt auf dem Tisch, worauf haben sich die Euro-Finanzminister zu einigen?
Mitte März 2020 konnten sich die Staat- und Regierungschefs nicht darauf verständigen, welche mittel- bis langfristigen Massnahmen zu ergreifen sind, um die Folgen des Konjunktureinbruchs in ganz Europa aufzufangen.
Überall wird der Ruf nach einem Wiederaufbau-Programm laut, analog einem Marshall-Plan, mit welchen nach dem Zweiten Weltkrieg Europa wiederaufgebaut wurde.
Die Euro-Finanzminister werden heute ein Modell vorschlagen, das auf drei Säulen aufbaut, um die europäische Wirtschaft baldmöglichst wieder in Schwung zu bringen:
- Der Euro-Rettungsfonds soll genutzt werden, der im Anschluss an die Finanz- und Staatsschuldenkrise geschaffen wurde, um Euro-Länder mit Krediten zu unterstützen.
- Die Europäische Investitionsbank soll einen Garantiefonds schaffen.
- Die EU-Kommission will einen Fonds schaffen, mit welchem Kurzarbeit in den EU-Staaten finanziell unterstützt werden kann, also eine Art Rückversicherung für nationale Arbeitslosenversicherungen.
Säule 1/3: Der Europäische Rettungs-Fonds ESM garantiert Finanzhilfen für Euro-Länder
Der ESM wurde geschaffen, um einzelne Euro-Länder mit Krediten zu unterstützen, wenn diese nicht über die normaleAusgabe von Staatsanleihen Geld aufnehmen können, weil sie hierfür zu hohe Zinsen zahlen müssten.
Von Beginn an war vorgesehen, dass Staaten etwa bei Naturkatastrophen so zu billigen Krediten kommen können. Die Corona-Krise macht die Ausnahme zur Regel, weil alle Länder gleichermassen betroffen sind.
Der ESM garantiert Euro-Staaten eine Kreditlinie, die diese abrufen können.
Der ESM nimmt Geld an den Finanzmärkten auf und reicht diese an die nachfragenden Staaten weiter.
Das ist für Länder hilfreich, deren Zinssätze höher liegen würden als jene des ESM. 410 Mrd. Euro könnte der ESM so verleihen.
Das Problem ist, dass Länder, die sich auf diesem Weg refinanzieren an den Finanzmärkten schnell einmal als schlechte Schuldner gelten. Das treibt die Zinsen für betroffene Länder noch mehr in die Höhe.
Zudem sieht der ESM aktuell vor, dass die Kreditvergabe jeweils an Bedingungen geknüpft wird, die ein Staat zu erfüllen hat, etwas das Durchführen von Wirtschaftsreformen.
Im aktuellen Kontext sind sich die 19 Eurostaaten aber einig, dass im Zusammenhang mit der Vergabe von Krediten wegen der Corona-Krise keine Bedingungen diktiert würden.
Säule 2/3: Die Europäische Investitions-Bank EIB erleichtert Investitionen in der ganzen EU
Der ESM hilft nur Mitgliedern der Eurozone, nicht direkt Unternehmen oder anderen EU-Staaten.
Die EIB kann Unternehmen aller EU-Staaten unterstützen. Die EIB will einen paneuropäischen Garantiefonds schaffen, um die Folgen der Corona-Krise insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen aufzufangen.
Dieser soll 25 Mrd. Euro umfassen zur Absicherung von Krediten. Alle EU-Staaten zahlen gemäss ihrer Wirtschaftskraft in einen solchen Fonds ein. Alle EU-Staaten sind Anteilseigner der EIB.
Die EIB rechnet damit, dass der 25 Mrd. Euro Garantiefonds es ihr erlaubt, bis gegen 200 Mrd. Euro an flüssigen Mitteln für Unternehmen bereit zu stellen. Unternehmen aus allen 27 Mitgliedsländern können Kredite beantragen.
Unternehmen aus besonders betroffenen Ländern dürften mehr Kredit abrufen. So würden Gelder innerhalb der EU durchaus solidarisch umverteilt.
Säule 3/3: Die EU-Kommission legt einen Fonds “SURE” auf für Kurzarbeit-Hilfen
Nicht alle Länder kennen die Möglichkeit von Kurzarbeit in ihren Sozial- oder Arbeitslosenversicherungen.
Die Idee ist, dank Kurzarbeit zu verhindern, dass Arbeitnehmer entlassen werden.
Arbeitgeber lassen über eine beschränkte Zeit ihre Löhne aus der Arbeitslosenversicherung bezahlen, um nach der Krise rasch wieder über die volle Produktionskapazität zu verfügen und qualifizierte Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.
Das Konzept heisst “Sure”.
Die EU-Kommission schafft einen Fonds. Alle EU-Länder zahlen wiederum 25 Mrd. Euro in diesen Fonds ein. Mit dieser Garantie im Rücken, nimmt die EU-Kommission bis 100 Mrd. Euro zu einem günstigen Zinssatz am Geldmarkt auf, die dann in die Arbeitslosenversicherungen fliessen zur Finanzierung von Kurzarbeit.
Die Annahme ist, dass diese Möglichkeit der Re-finanzierung vor allem Länder nutzen, die an den Finanzmärkten mehr Zinsen zahlen müssten, um an die gleiche Summe Geld zu gelangen.
Für Länder wie Deutschland oder die Niederlande würde das wahrscheinlich nicht gelten. Auch auf diese Weise würde also Geld innerhalb der EU-Staaten umverteilt.
Welche Optionen bleiben für die Zukunft, wenn das alles nicht ausreichend sein wird, die Konjunktur wieder anzukurbeln in Europa?
9 Staaten von 19 Staaten der Eurozone plädieren schon seit einigen Wochen dafür, europäische Sonder-Staatsanleihen aufzulegen, sogenannte Corona- oder Euro-Sonder-Bonds.
Auf diese Weise sollten alle Länder zu gleichgünstigen Konditionen Geld aufnehmen können, um die Mehrausgaben der Länder wegen der Corona-Pandemie zu finanzieren.
Günstig wären die Konditionen, weil alle Länder gleichermassen für die Rückzahlung entsprechender Kredite garantieren müssten.
In letzter Konsequenz ist es darum korrekt zu behaupten, dass niederländische oder finnische Bürger in diesem Fall mit ihren Steuern für spanische oder italienische Kreditausfälle aufkommen müssten.
Welche Gründe sprechen für die Ausgabe von einmaligen, europäischen Corona-Staatsanleihen?
Die ausserordentliche Lage wird von allen Mitgliedern der EU hervorgehoben. Alle Länder Europas sind von der Corona-Pandemie betroffen, allerdings unterschiedlich stark.
Als Zeichen der Solidarität sollen darum auch alle EU-Staaten gemeinsam diese Krise finanziell bewältigen können.
Ökonomisch gibt es gute Gründe, solche Staatsanleihen zu lancieren: Kein Land soll finanziell bestraft werden.
Es wäre ökonomisch weniger effizient, die Mehrausgaben des italienischen Staates wegen der Pandemie mit höheren Zinsen zu belegen als die Mehrausgaben von Finnland.
Und: letztlich ist es auch im Interesse deutscher Steuerzahlen, wenn die europäische (also auch die italienische) Wirtschaft sich rasch wieder erholt, weil deutsche Produkte in diese Länder exportiert werden können, was der deutschen Exportindustrie hilft.
Was gut ist für die Summe der 27 Mitgliedsstaaten, also die Europäische Union, ist auch gut für jedes einzelne Mitgliedsland der EU.
Warum lehnen einige Länder Corona- oder Eurobonds ab?
Das Schaffen von gemeinschaftlichen Euro-Staatsanleihen war bereits in der Finanzkrise ab 2010 immer wieder ein Thema.
Immer wieder wird die deutsche Kanzlerin als die Totengräberin solcher Ideen bezeichnet. Das ist nur teilweise korrekt, weil auch andere Länder grosse Vorbehalte haben.
Sie lehnen Eurobonds grundsätzlich und ideologisch ab, weil sie glauben, dass Staaten mit hohen Staatsdefiziten kein Interesse mehr hätten, eine nachhaltigere Wirtschafts- und Steuerpolitik zu verfolgen.
Billiges Geld verleite zum ewigen Aufschieben eigentlich dringlicher Reformen.
Die etwas sachlicheren ökonomischen Vorbehalte zielen auf die Ungleichgewichte zwischen den Ländern. Eurobonds machten erst Sinn, wenn sich die Mitglieder der Eurozone auch auf eine gemeinschaftliche Fiskalpolitik einigten.
Corona-Bonds sind gewissermassen eine Unterkategorie von Eurobonds.
Der Vorschlag von Frankreich ist, dass einmalig ein Spezialfonds geschaffen wird mit einer Laufzeit von 10 bis 20 Jahren und zielgerichtet für höhere Staatsausgaben wegen der Corona-Pandemie.
Diese Lösung ist sehr nahe an der Lösung, welche den ESM beizieht.
Das neutralste Argument gegen Euro- oder Corona-Bonds wirft zum Beispiel der Chef des ESM in den Ring.
Er sagt, dass entsprechende Bonds einfach zu spät kommen würden. Denn Eurobonds brauchen Garantieren.
Das Kapital muss von den Eurostaaten kommen, dann gilt es einen Vertrag auszuhandeln (analog dem ESM-Staatsvertrag) und die Institution aufzubauen. Eurobonds oder Corona-Bonds stünden erst zur Verfügung, wenn es zu spät ist, nämlich in 12 bis 18 Monaten.
Was haben all diese Massnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlich negativen Folgen der Corona-Pandemie in der EU mit dem Budget der EU zu tun, das bis Ende Jahr für die kommenden sieben Jahre festgelegt werden müsste?
Seit Monaten können sich die Mitgliedstaaten und die verschiedenen Institutionen der Europäischen Union nicht auf einen Budget-Rahmen für die kommenden sieben Jahre einigen.
Einige Länder wollen nicht mehr als 1 Prozent ihres Brutto-Inland-Produktes in die EU-Kassen überweisen.
Länder in Osteuropa wollen eine spendable EU, weil sie viele Gelder aus den Strukturfonds beziehen.
Die EU-Kommission und das EU-Parlament wollen höhere Ausgaben, die sich an den hohen politischen Ambitionen orientieren, namentlich in Bezug auf die Finanzierung der Klima- und Umweltpolitik und die Transformationen rund um die Digitalisierung der europäischen Gesellschaft.
Und nun kommen noch die wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Folgen der Corona-Pandemie oben drauf.
Die EU-Kommission will darum schon in den kommenden Wochen einen neuen Budget-Rahmen vorschlagen, der diese neue Ausgangslage berücksichtigt.
Eigentlich müsste das auf ein deutlich höheres EU-Budget hinauslaufen. Solidarität hat tatsächlich einen Preis.
Es gibt gute Argumente für ein höheres Budget, um die Folgen der Corona-Krise zu verarbeiten.
Ein hohes EU-Budget ist nur möglich, wenn es auf verschiedenen Ebenen direkt demokratisch legitimiert ist.
Regierungen müssen gegenüber ihren Parlamenten höhere Beitragszahlungen rechtfertigen.
Die Ausgaben aus dem EU-Haushalt werden durch den Rat der Mitgliedsländer und das Europäische Parlament bewilligt.
Italien könnte zum Beispiel willentlich Netto-Empfänger von EU-Subventionen werden, wenn alle dem zustimmen.
Darum sprechen sich zahlreich Politikwissenschaftler für diesen Weg aus, der demokratischer sei als die Schaffung von Eurobonds oder Kredite an Staaten oder Unternehmen, die Funktionäre bewilligen.
Warum haben die Entscheidungen der Euro- und EU-Finanzminister auch für die Schweiz eine grosse Bedeutung?
Die Schweiz hat einen privilegierten Zugang zum europäischen Binnenmarkt.
Man sagt, stark vereinfacht, die Schweizer Wirtschaft verdienen jeden zweiten Franken im Geschäft mit Partnern in der Europäischen Union.
Je schneller sich also die europäische Wirtschaft vom Corona-Konjunktur-Schock erholt, desto besser für die Schweizer Unternehmen und letztlich auch für die Arbeitsplätze in solchen Schweizer Unternehmen.