Kritik an der europäischen Impfstrategie ist ein Gütesiegel für die EU

In der Europäischen Union haben sich bis heute mehr als 20 Millionen Menschen mit dem Corona-Virus infiziert. 500-tausend sind an den Folgen einer Ansteckung gestorben.

Alles politische Handeln sollte also daran gemessen werden, wie schnell es gelingt, diese Pandemie zurückzudrängen. Das gilt für die nationalen Regierungen in Europa und die Europäische Union selbst.

Bis im Sommer sollen 70 Prozent der Menschen in Europa geimpft sein.Heute hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im EU-Parlament Stellung genommen zur Kritik an der Impfstoffbeschaffung. Trotz zahlreicher politischer Fehlleistungen – es besteht Hoffnung, dass dies gelingt.

Wenn bis im Sommer 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Europa geimpft ist, dürfen wir damit rechnen, dass allmählich wieder jene Normalität in unseren Alltag zurückkehrt, an die wir uns kaum mehr erinnern können.

Die Präsidentin der EU-Kommission hat dieses Versprechen vor dem Europäischen Parlament abgegeben. Die EU wird an diesem Ziel gemessen. Richtig so.

Die EU ist mehr als die EU-Kommission. Die Union ist ein zuweilen wenig transparentes Gefüge auf mehreren Ebenen. Europa ist politisch kompliziert. Mitgliedstaaten und EU-Institutionen streiten um Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Darum stellt die Corona-Pandemie für die EU eine Jahrhundert-Herausforderung dar.

Das vorgegebene Ziel ist erreichbar, wenn alle Beteiligten einigermassen mitspielen.

Dass Europas Exit-Strategie aus der Corona-Pandemie auch scheitern kann, hat sich in den letzten Wochen mehrfach gezeigt.

Die falsch aufgegleisten Export-Kontrollen für Impfstoffe passen nicht zu einem liberalen, offenen EU-Binnenmarkt. Ein Fehler.

Die Streitigkeiten mit dem Vereinigten Königreich. Kleinkariert.

Die opportunistische Kritik einiger EU-Staaten an der EU-weiten Beschaffungsstrategie für Impfstoffe zeichnet ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Verantwortlichkeiten am Verhandlungstisch mit Impfstoffherstellern. Darüber zu streiten, auch ein Fehler

Die Liste politischer Fehlleistungen auf allen Ebenen ist lang.

Sie treffen die EU-Staaten seit Monaten gleichermassen wie die Institutionen der Europäischen Union. Das ist nicht der entscheidende Punkt.

Wichtig bleibt, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und Fehler zu korrigieren. Die EU, die EU-Mitgliedstaaten und die EU-Kommission, sind fähig, Kurs zu halten und Korrekturen vorzunehmen.

Deshalb ist es sinnvoll, wenn die EU-Kommission jetzt eine Taskforce einsetzt, zur besseren Koordination der Produktion von Impfstoffen innerhalb der EU. Besser spät als nie.

Der Grundsatz, dass alle Impfstoffe gemeinsam bestellt, bezahlt und ausgeliefert werden, ist richtig. Solidarität gilt auch bei Gegenwind.

Der Impfplan mag nur langsam anlaufen. Er basiert aber auf der wissenschaftlichen Empfehlung, nach jeder ersten Impfung, gleichzeitig die zweite Dosis kalt zu stellen. Experimente, die zweite Impfung hinauszuzögern, sind nicht zielführend.

Sensible Gesundheitsdaten von EU-Bürgerinnen sind ein schützenswertes Gut, das nicht zum Verkauf steht. Produkte-Haftpflicht gilt auch für Impfstoffe und ist dort einzufordern, wo sie hingehört: bei den Herstellern. Ermutigend, dass die EU solche Grundsätze weiter verteidigt.

Kritik ist immer angebracht. Sie ist Voraussetzung für Korrekturen.

Es ist ein Gütesiegel für Europas Demokratie, wenn Widerspruch hilft, das Ziel zu erreichen. Daran darf sich Europa messen lassen.