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Fit für -55% CO2-Emissionen: Jetzt wird es richtig ungemütlich in der EU-Klimapolitik

Erst vor wenigen Wochen stimmten das EU-Parlament und die 27 Mitgliedsländer dem EU-Klimagesetz zu. Darin ist das Ziel verbindlich festgeschrieben, bis 2050 die sogenannte «Klima-Neutralität» zu erreichen, dass also nur noch so viel CO2 ausgestossen, wie gleichzeitig der Atmosphäre entzogen wird. Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden.

Aus SRF, Echo der Zeit, 14. Juli 2021

Ein ambitioniertes, fernes Ziel zu formulieren, reicht nicht. Darum macht das Klimagesetz auch Vorgaben, die schon in zehn Jahren umgesetzt sein müssen.

Das bisherige Ziel minus 40 Prozent Emissionen im Vergleich zu 1990 bis 2030 wurde angehoben auf minus 55 Prozent. «Fit für 55» ist der Plan der EU-Kommission, die gesetzten Klimaziele zu erreichen.

Das Paket ist voller Ambitionen. 12 EU-Gesetze gilt es anzupassen. Diese 12 Gesetze haben das Potenzial, unseren Alltag auf den Kopf zu stellen.

Ab 2035 dürfen keine Autos mehr verkauft werden mit Benzin- oder Dieselmotoren. Das fordert in erster Linie die Autobauer, die – zumindest für den europäischen Markt – ihre Produktionsprozesse noch konsequenter auf Elektroantrieb umstellen müssen.

Fossile Treibstoffe für Airlines und für Schiffstransporte werden nicht länger von grossen Steuervergünstigungen profitieren können. Beide Branchen werden ins Emissionshandelssystem einbezogen.

Das gleiche gilt für den Verkehr und den Gebäudesektor, die beide künftig für ihre Co2-Emissionen bezahlen müssen. Das trifft Automobilistinnen, Hausbesitzer und Mieterinnen gleichermassen. Laute Proteste sind programmiert. Wo das hinführen kann, machte vor einiger Zeit Frankreich vor. Soziale Unrast, manifestiert mit gelben Vesten, machten die klimapolitischen Minimalvorgaben der französischen Regierung flugs zu Makulatur. Die EU kann sich das nicht leisten.

Die EU will vorsorgen und verspricht mit einem Klima-Sozial-Fonds solidarische Rückerstattungs- und Ausgleichsmechanismus etwa für Bürgerinnen und Bürger, die auf dem Land wohnen, wo kein öffentlicher Verkehr vor der Haustür hält und die auf ihr Auto angewiesen sind, um arbeiten zu können. Das Scheckheft wird nicht ausreichen, alle ruhig zu stellen.

Politisch heikel für Europa ist auch der die Einführung einer CO2-Steuer für energie-intensive Importprodukte aus Drittstaaten, die ihrer Industrie keine oder schwächere Klimaziele vorgeben. Die EU wird sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, ihre Industrie, zum Beispiel ihre Stahl-, Zement oder Düngemittelindustrie, protektionistisch zu schützen und Schwellenländer im Süden hierfür bezahlen zu lassen. Ein solcher CO2-Grenz-Ausgleich muss zudem die Vorgaben der Welthandelsorganisation WTO einhalten. Das ist anspruchsvoll.

Trotzdem hat das riesige Reform-Paket zugunsten des Klimaschutzes gute Chancen, dereinst in Kraft zu treten, wenn sich dann das EU-Parlament und der Rat der 27-Mitgliedsländer einigen können.

Das wird nämlich die grösste Herausforderung sein: Dass die Einigung so schnell erzielt werden kann, dass die gesetzlichen Vorgaben nicht zu spät kommen oder zahnlos sind. Denn die Zeit drängt. 2030 ist schon in etwas mehr als 100 Monaten.

Zwölf Gesetzgebungsprozesse in kurzer Zeit ordentlich durchzuziehen, das ist eine enorme demokratische Herausforderung. Mit Bequemlichkeit ist das nicht zu schaffen.

Darum wird es nun richtig ungemütlich in der europäischen Klimapolitik. Wir alle müssen alltägliche Gewohnheiten grundlegend verändern. Und das hat durchaus einen hohen Preis.