Die Ukraine-Krise, aber auch die hohen Energie-Preise der letzten Monate zeigte den Ländern der EU, wie abhängig sie von russischem Gas sind.
Was, wenn Russland als Reaktion auf schärfere Sanktionen Europas die Lieferung von Gas stoppen würde? Die Folgen wären einschneidend. Einzelne EU-Staaten müssten ihre Energiepolitik ganz grundlegend überdenken.
Wie lange könnte Europa ohne Gaslieferung aus Russland auskommen?
Dieses Worst-Case-Szenario hat die wirtschaftswissenschaftliche Denkfabrik Bruegel durchgerechnet, unter Einbezug der neusten Daten zu Angebot und Nachfrage in Europa. Wenn wir weiter Strom und Gas so verbrauchen wie in den letzten Wochen, droht schon Ende März ein Blackout. Dann wären alle Gas-Vorräte in Europa aufgebraucht. Sollte der Winter weiter relativ mild bleiben, dann liesse sich das Unheil noch um einen Monat bis April hinauszögern. Dann sinkt der Bedarf an Heizkraft. Das löst das Problem aber nicht, denn das meiste Gas wird verbrannt, um Strom zu gewinnen.
Für Europa heisst das also: Es führt kein Weg an russischem Gas vorbei…
Es gibt Alternativen zu russischem Gas: Die Niederlande könnten mehr fördern, Norwegen könnte mehr liefern, und auch via Pipelines aus Algerien könnte mehr Gas nach Europa fliessen. Die EU importiert zudem bereits viel mehr Flüssiggas aus den USA und aus arabischen Staaten als gewöhnlich.
Zeit und die Kapazitäten sind jedoch knapp vor allem für Flüssiggas. Anstatt nach Asien zu liefern, müssten alle Lieferanten europäische Häfen ansteuern. Rein mengenmässig könnte Europa so alle Gaslieferungen von Russland kompensieren. Allerdings wäre das nicht von heute auf morgen möglich.
Nicht jedes Land in Europa ist jedoch gleichermassen von russischem Gas abhängig…
In belgischen Gasleitungen fliesst nur sieben Prozent russisches Gas. In Deutschland rund die Hälfte, in Spanien nahezu Null, weil das Land primär Flüssiggas importiert. Mit jedem östlichen Längengrad mehr, steigt die Abhängigkeit von russischem Gas. Und es wäre technisch gar nicht so einfach, die Gaslieferungen einfach umpolen zu versuchen, so dass alles Gas von West-Europa nach Ost-Europa fliesst. Ganz abgesehen davon, dass die Qualitäts-Standards für Gas von Land zu Land verschieden sein können in Europa.
Die Umkehr der Gas-Flüsse birgt auch politische Risiken innerhalb der EU…
Dreht Russland den Gashahn zu, steigen die Preise. Dann droht ein Preiskampf nach oben. Die Folgen können wir seit Monaten beobachten: Jedes EU-Land wird erst einmal dafür besorgt sein, die eigene Nachfrage günstig zu decken. Solidarität mit den EU-Staaten im Osten Europas hätte kaum Priorität. Wahrscheinlich müssten sodann einige Staaten den Energie-Konsum rationieren, mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft.
Kein Gas aus Russland würde darum politische Spannungen unter den EU-Staaten provozieren…
Spannungen zeigen sich bereits. Deutschland ist ein gutes Beispiel. Andere Länder fordern im Einklang mit den USA, einen Boykott der Gas-Pipeline Nordstream 2.
Ohne russisches Gas kommen auf die EU sehr schmerzhafte Entscheidungen zu in der Energiepolitik. Deutschland zeigt das wieder exemplarisch. Eigentlich kann es sich das Land dann nicht mehr leisten in einem Jahr die letzten Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. Kohlekraftwerke abzustellen zugunsten etwas sauberer Gaskraftwerke, das verspricht die neue deutsche Regierung, wäre nicht so einfach möglich. Damit verbunden verfehlte Deutschland die gesetzten Klimaziele. Der ganze Plan der EU, den CO2-Ausstoss bis 2030 massiv zu senken, könnte nicht mehr eingehalten werden.
Die unberechenbaren politischen Folgen für Europa erscheinen also bedrohlicher als die technische Frage nach Alternativen zum russischen Gas.
Auch Russland ist von Europa abhängig
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