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Ohne Gas aus Russland: Europa droht ein brutal kalter Winter, politisch

Solidarität ist ein nettes politisches Versprechen. Europa braucht mehr, um die drohende Energiekrise zu bewältigen. In jedem Fall droht der EU eine Zerreissprobe.

Der schlimmste Fall ist, dass Russland den Gashahn ganz zudreht – egal aus welchen Gründen. Die Folgen sind bestens bekannt.

Der internationale Währungsfonds rechnet in diesem Szenario, dass Europa 70 Prozent der Gaslieferungen mit alternativen Lieferanten abdecken kann.

Sechs Monate kann sich die EU dann durch hangeln durch einen Winter, der hoffentlich nicht allzu kalt und lang wird.

Die Denkfabrik Bruegel rechnet sodann vor, dass der Bedarf an Gas von Industrie und Haushalten nur gedeckt werden kann, wenn wir gleichzeitig über alles 15 Prozent weniger Gas verbrennen. Ohne Einsparungen sind die Speicher im Januar oder Februar 2023 leer.

Das sind immer Mittelwerte und die verdecken eine beunruhigende Realität. Tatsächlich steht jedes der 27 EU-Länder vor einem anderen Dilemma.

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Quelle: Bruegel.org

In Bulgarien, Ungarn, Serbien, Kroatien oder Griechenland sind die Gasspeicher nämlich schon im Oktober wieder leer. In Polen an Weihnachten, in Deutschland im Januar und in Italien im Februar.

In Spanien, Frankreich und Portugal zeichnet sich kein Mangel ab. Die Reserven dürften bis Mai 2023 ausreichen.

Das zeigt, vor welchem politischen Dilemma die EU steht. Es wird nicht ohne gelebte Solidarität unter allen europäischen Staaten möglich sein, den ganzen Winter hindurch

Suppe auf dem Gasherd zu kochen oder mit Warmwasser zu duschen, welches der Gasdurchlauferhitzer temperiert.

Nur schon technisch ist das eine Herausforderung. Denn das Gasnetz muss stellenweise angepasst werden, um eine geografische Verteilung sicher zu stellen, die in der Vergangenheit so nicht geplant war.

Wirtschaftlich dürfte Europa in jedem Fall schrumpfen, so der Währungsfonds. Der europäische Mittelwert von -1.4 Prozent weniger Wachstum kaschiert wiederum die Realitäten in den europäischen Staaten. Ungarns Wirtschaftsleistung geht im besten Fall nur um -3.4 Prozent zurück, im schlechtesten Fall um -6.5 Prozent. Ähnlich düster ist die Ausgangslage in der Solvakei und Tschechien. Italiens Wirtschaft hat die Pandemie noch alles andere als verdaut. Jetzt droht der nächste empfindliche Taucher zwischen -2.1 Prozent bis -5.7 Prozent.

Selbst die wirtschaftlich soliden Länder Deutschland und Österreich verlieren deutlich an Wirtschaftskraft. Allen EU-Staaten droht eine Rezession.

Noch dramatischer werden die politischen Folgen sein. Denn die Preise für Gas und andere fossile Energieträger verharren auf hohem Niveau.

Europa steht darum vor einer Zerreissprobe. Das tönt dramatisch und ist dramatisch. Soziale Unrast steht vor der Tür. Die Erfahrungen aus der Zeit der Covid-Pandemie sind nicht vergessen. Trotz gemeinsamen Bemühungen, Impfstoffe koordiniert zu beschaffen, dominierte trotzdem einzelstaatlicher Egoismus. Warum soll es diesmal anders sein?

Grosses politisches Geschick in 27 abgestimmten Nuancen ist gefragt. Nationale Regierungen müssen nämlich ihren Steuerzahlenden erklären, dass aus Solidarität mit rechtspopulistischen Regierungen, die sich um EU-Rechtsstaat-Normen foutieren und offen antisemitische Stimmung verbreiten (Viktor Orbans Ungarn), es hinzunehmen ist, dass im eigenen Land die Automobil- oder petrochemische Industrie Stellen Mitbürgerinnen entlassen müssen (Deutschland, Frankreich oder Belgien). Gleichzeitig explodieren die Preise für Brot und Warmwasser in ganz Europa.

Das ist kein Sommermärchen. Der kommende Winter in Europa wird brutal hart. Und die Aussichten auf den darauf folgenden Winter sind nicht besser.

Willkommen in einer anderen Zeit.