Chefunterhändlerinnen mit der EU: Sie kommen und sie gehen

Schweizer Spitzendiplomatinnen und Diplomaten, deren Pflichtenheft darin besteht, die Beziehungen zur Europäischen Union auf eine solide Basis zu stellen, wissen bei Dienstantritt, dass dies eine temporäre Zwischenverpflichtung sein wird. 

Am EU-Dossier beissen sich Schweizer Staatssekretärinnen und deren männliche Vorgänger mit einer bemerkenswerten Konstanz die Zähne aus.

Staatssekretärin Livia Leu macht keine Ausnahme. Bereits ihr erster Auftrag war eine «Mission Impossible» des Bundesrates: Sie sollte Nachverhandlungen mit der EU führen, die nicht so heissen durften, mit dem Ziel das Rahmenabkommen in wesentlichen Punkten anzupassen. Das gelang nicht. Also brach der Bundesrat die Übung ab.

Es folgten neue Sondierungen, ob mit mehr Handlungsspielraum, also zusätzlichen bilateralen Abkommen, der Europäischen Union entsprechend mehr Kompromisse abgerungen werden können.

Mit jeder neuen Runde Sondierungsgespräche wurde klar, dass die heiklen Fragen weiter ungelöst bleiben. Trotz konstruktivem Gesprächsklima. Auch die besten Diplomatinnen aus der Schweiz können in Brüssel aber fehlende politische Vorgaben aus der Schweiz nicht wegverhandeln. Das bestmögliche Ergebnis wird immer ein Verhandlungskompromiss unter Diplomaten sein, den fast alle Politikerinnen und Politiker als ungenügend betrachten. Die einen finden in diesem Fall, dass die Schweiz zu viel, die anderen finden, dass die Schweiz zu wenig herausgeholt hat.

Für die EU-Kommission, welche die Verhandlungen im Auftrag der 27 Mitgliedstaaten führt, ist das Alltag. Ein Grossteil der Abgesandten der EU-Kommission, die heute mit der Schweiz sondieren, arbeiteten vorher im Brexit-Team. Sie sind mit allen Wassern gewaschen. Seitens des Vereinigten Königreichs wechselten Chef-Unterhändler noch regelmässiger als in der Schweiz.

Darum kommt die Versetzung von Livia Leu nicht überraschend, weil nach dem letzten Treffen die Schweizer Delegation begann, zurückzurudern. Die Schweizer Delegation sprach nur noch von Eckwerten eines Verhandlungsmandates, die bis Ende Juni stehen sollten.

Damit war allen Beteiligten und auch allen Beobachterinnen der Verhandlungen klar, dass die Schweizer Diplomatinnen auf Zeit spielten. Die Verantwortung hierfür trägt der Schweizer Bundesrat, der immer noch nicht gewillt ist, unpopuläre politische Vorgaben zu machen, welche Prioritäten die Europapolitik haben soll.

Der Bundesrat entscheidet nicht in der Sache. Er entscheidet bloss die personelle Frage, welche Beamtin oder welcher Beamte weiter mit der EU-Kommission reden soll.

Unter diesen Voraussetzungen ist es nachvollziehbar, dass die EU-Kommission erst einmal abwartet. Sie weiss: Abgesandte aus der Schweiz kommen und gehen. Ohne Folgen. Die EU-Kommission hat Zeit, auf die Schweiz zu warten. Nur die Geduld nimmt immer mehr ab.