Richterinnen und Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eilt der Ruf voraus, einseitig pro-europäisch zu urteilen und darauf bedacht zu sein, die Kompetenzen der EU laufend auszuweiten. Nun beweist das oberste Richterinnen-Gremium in einem bemerkenswerten Urteil wieder einmal das Gegenteil: Sie setzen dem Einfluss der EU klare Grenzen – und das ausgerechnet in einer Kernkompetenz der EU, dem Wettbewerbsrecht.
Zwei US-amerikanisches Pharmaunternehmen wollten ihre jeweiligen Tochtergesellschaften für Blutdiagnosen in einem EU-Land fusionieren. Das eine Unternehmen erwirtschaftete weder in der EU noch anderswo in der Welt einen Umsatz. Entsprechend schien der Zusammenschluss eine Formsache. Eine Meldung bei der EU-Wettbewerbsbehörde erachteten die Firmen als nicht nötig.
Übereifrige Mitarbeitende der betreffenden nationalen Wettbewerbsbehörde widersprachen. Sie legten den Fall den Kolleginnen bei der EU-Kommission in Brüssel vor – gewissermassen zur Vorabklärung, ob auch diese zum Schluss kämen, dass europäisches Recht nicht tangiert würde. Möglicherweise könnte ja später einmal EU-Recht betroffen sein, falls das Unternehmen später einmal seine Bluttests in der EU verkaufen wollte.
Dagegen klagte das US-Pharmaunternehmen. In erster Instanz lehnte das EU-Gericht die Beschwerde ab und erkannte im Vorgehen der nationalen Wettbewerbshüter kein Problem.
Zu einem ganz anderen Schluss kommt nun aber das Oberste Gericht der EU: Voraus-eilender Gehorsam von nationalen Behörden sei unangebracht. Der Zusammenlegung der beiden US-Tochterunternehmen beeinträchtigt in keiner Weise den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und schon gar nicht das europäische Wettbewerbsrecht.
Die EU-Fusionskontroll-Verordnung verbiete es der EU-Behörde bei nationalen Entscheidungen mitzureden, die keine europaweite Bedeutung hätten. Das schaffe bloss Rechtsunsicherheit, wenn Kompetenzen vermischt würden.
Mit anderen Worten: Es kann nicht sein, dass eine nationale Kontrollbehörde ihre Verantwortung nicht wahrnimmt und Kompetenzen nach Brüssel zu delegieren versucht, weil sie nicht eigenständig entscheiden will.
Das ist bemerkenswert, wenn EU-Richter, nationales Wettbewerbsrecht stärken – gegen den Willen einer nationalen Aufsichtsbehörde.
Man könnte auch sagen, dass die EU-Richterinnen und Richter damit sagen: “Liebe Kollegen in den EU-Mitgliedstaaten: Macht Eure Arbeit wie von Euren eigenen Gesetzen vorgeschrieben und delegiert aus Bequemlichkeit nicht Entscheidungen nach Brüssel!”
Klarer könnten die EU-Richter nicht zum Ausdruck bringen, dass die EU sich nicht für alles zuständig fühlt. Und dass sich EU-Mitgliedstaaten nicht hinter EU-Behörden verstecken können, wenn sie unfähig sind, in ihren eigenen vier Wänden für Ordnung zu sorgen…
EU-Kommission ist nicht erfreut
Die für Wettbewerbsfragen zuständige EU-Kommissarin, Margrethe Vestager, hat an diesem Urteil natürlich wenig Freude. In einer Stellungnahme hält sie fest, dass die EU-Kommission auf Ersuchen eines EU-Landes gerne weiterhin prüft, ob eine Fusion von Firmen problematisch sein könnte, auch wenn diese nicht den Prüfkriterien, wie im EU-Wettbewerbsrecht (Artikel 22) vorgesehen, entspricht.
Das ist nachvollziehbar. Die EU-Kommission mag es gar nicht, wenn ihre Kompetenzen von einer anderen EU-Institution eingeschränkt werden.