Bei Weinflaschen will die Schweiz keine dynamische Anpassung an EU-Recht

Bis Ende 2024 will der Schweizer Bundesrat mit der EU-Kommission die Verhandlungen über ein neues Paket an bilateralen Verträgen abschliessen.

Es gilt letzte hoch-politischen Kompromisse zu finden.

Es geht um grosse Fragen wie Kohäsions-Beiträge in Milliardenhöhe für Osteuropa, flankierende Lohnschutz-Massnahmen oder Schutzklauseln gegen zu hohe Einwanderung.

Es geht aber auch um letzte kleine technische Differenzen und es geht um Kuriositäten. Dazu gehört ein Sonderwunsch der Schweiz bei der Normierung von waadtländischen Weinflaschen.

Diese Verhandlungen mit der Schweiz seien wohl die kompliziertesten, die er je geführt habe, sagte der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar Maroš Šefčovič. Zur Erinnerung: Der Vizepräsident der EU-Kommission ist auch für die Beziehungen zum Vereinigten Königreich nach dem Brexit zuständig. Auch keine einfache Sache…

Mit den Eidgenossen kompliziert ist es, weil sich da zwei Verhandlungskulturen am Tisch wiedertreffen: Auf der einen Seite die EU, ein Club von 27 Ländern, die zwar zusammen geschäften wollen, aber selten Freunde sind. Ausgehandelt wird, wo man gleicher Meinung ist. Vieles bleibt im Graubereich.

Dieser Ansatz stösst auf Schweizer Präzision. Verhandelt wird möglichst detailliert; böse Überraschungen gilt es um jeden Preis auszuschliessen. Also keine Graubereiche.

Die kulturellen Differenzen komplizieren die Lösungsfindung.
Ein Beispiel ist die dynamische Rechtsübernahme. Die Schweiz verspricht, wo nötig, das Schweizer Recht laufend dem EU-Recht anzupassen. Dazu gehört auch die gegenseitige Anerkennung von Normen und Standards: Ein künstliches Schweizer Hüftgelenk, hergestellt nach Schweizer Norm, darf auch in der EU vertrieben werden. Schweizer Prüfstandards entsprechen europäischen Prüfstandards.

Wenn es um Alkohol in Flaschen geht, wird es knifflig. Seit 1975 haben sich die EU-Staaten nämlich darauf verständigt, dass eine Norm-Weinfalsch mit genau 0.75 Liter gefüllt ist.

Nötig war diese Normierung, wegen französischer-britischer Differenzen. Auf der Insel wurde imperiale Gallonen von 4.55 Liter mit Wein gefüllt. Auf dem Festland nur republikanische Liter. Also einigte man sich darauf, dass 225 Liter einem Fass von 50 Gallonen entspricht; oder 300 Flaschen à 0.75 Liter.

Ein Problem für die Schweiz. Sie muss der EU in diesem Dossier eine Ausnahme abringen: Hintergrund sind der waadtländische Pot, Demi-Pot und das Picholette. Ein Standard des Kantons Waadt aus dem Jahre 1822.

Demnach umfasst ein Krug Wein, un pot, 1.4 Liter, ein Demi, also 0.7 Liter, nicht 0.75 Liter.
Das freut Schweizer Discount-Händler, weil diese eine Flasche Waadtländer Weisswein, ein demi-pot, im Regal neben die grössere europäische Normflasche stellen können. Preislich wirkt die Schweizer Weinflasche attraktiver. Von Auge kaum zu erkennen, dass da weniger Wein drin ist.

Dieses Weinbauern-Trickli müssen die Schweizer Unterhändler gegenüber der mächtigen EU rechtlich abzusichern. Auch Sonderwünsche wollen erfüllt sein.

Um diesen Job sind die Diplomatinnen nicht zu beneiden.

Sie können sich aber sicher sein, dass sie im Bundesrat auf Verständnis stossen: Bundesrat Guy Parmelin, zuständig für Wirtschaft, Bildung und Forschung, war schliesslich einmal Winzer im Waadtland.