9 Fragen und 9 Antworten zur umstrittenen Abstimmung «Gesetz zur Wiederherstellung der Natur» im EU-Parlament

Was will die EU mit dem «Gesetz zur Wiederherstellung der Natur» erreichen?

Das Gesetz wurde am 22. Juni 2022 von der Europäischen Kommission präsentiert. Es hat zum Ziel, dass die EU-Staaten bis 2030 Massnahmen umsetzen, damit 20 Prozent der Land- und Seefläche der EU wieder in einem natürlichen Lebensraum für Menschen, Pflanzen und Tiere hergestellt wird. Es bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf bestehende Naturschutzgebiete. Teilweise zerstörte Öko-Systeme in diesen Schutzgebieten sollen gerettet werden, indem etwa trockengelegte Moore vernässt werden oder Wälder aufgeforstet werden. Auch Städte sollen stärker begrünt werden. EU-weit soll es auch wieder 25.000 Kilometer frei fliessende Gewässer geben. Ziel ist es, das voranschreitende Artensterben in Europa zu mindern. Die EU hat sich im UNO-Biodiversitäts-Abkommen dazu verpflichtet.

Warum stimmt das EU-Parlament über das Gesetz ab?

Der Gesetzgebungsprozess in der EU sieht vor, dass das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten dem Gesetz zustimmen. In einer ersten Abstimmung verabschiedet das EU-Parlament alle Änderungsanträge, welche in den Vorberatungen vom federführenden Umwelt-Ausschuss eingebracht wurden. Diese Position des EU-Parlamentes dient anschliessend als Grundlage für Verhandlungen mit dem Rat der EU-Länder, welche ihrerseits allenfalls andere oder weitergehende Anpassungen am Gesetz erzielen wollen. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, dem dann in einer zweiten Abstimmung wiederum Rat und Parlament zustimmen müssen. Erst dann kann das Gesetz in Kraft treten.

Warum ist das Gesetz im Parlament umstritten?

Eigentlich war das Gesetz im Parlament lange Zeit gar nicht umstritten. Der vorberatende Umwelt-Ausschuss hat zahlreiche Änderungsanträge informell beschlossen. Das heisst, es wurde von Beginn weg alle Meinungen der grössten Parteien im EU-Parlament berücksichtigt, um bei allen Änderungsanträgen im Vergleich zum Vorschlag der EU-Kommission eine Mehrheit im Plenum des EU-Parlamentes zu finden. Das ist ein ganz übliches Vorgehen in der parlamentarischen Beratung. Erst kurz vor der Schlussabstimmung im entscheidenden Umwelt-Ausschuss des Parlamentes stellte die grösste Parteien-Familie, die Volkspartei, all diese Kompromisse in frage und kündigte an, gegen das Gesetz und alle Änderungsanträge zu stimmen. Darum fällt die Abstimmung nun im Plenum knapp aus, weil die euroskeptischen Parteien und die Gegner der Umwelt- und Klimapolitik zusammen mit der grössten Partei die Befürworter überstimmen könnten.

Warum ist die grösste Parteienfamilie im EU-Parlament, die Europäische Volkspartei, gespalten?

Die Europäische Volkspartei ist seit längerer Zeit in der Klima- und Umweltpolitik gespalten. Bisher konnte sich die Befürworter von mehr Klimaschutz parteiintern jeweils durchsetzen. Bei den letzten EU-Wahlen 2019 wurden signifikanten mehr Abgeordnete gewählt, die versprachen, sich für mehr Klimaschutzes im Parlament einzusetzen. Bei diesem Trend wollte die Volkspartei nicht abseits stehen. Darum verabschiedete das EU-Parlament strenge und wegweisende neue Gesetze, um das Ziel zu erreichen, bis 2050 beim CO2 mehr auszustossen. In den letzten Monaten glaubt die EVP hingegen zu spüren, dass sich die politischen Gewichte verschieben. Tatsächlich erfuhren in nationalen Wahlen jüngst viele Parteien grosse Zustimmung, welche für ein Stopp beim Klimaschutz plädieren, um die Bauern nicht zu überfordern, oder um gegen die stark steigenden Energiepreise anzukämpfen oder weil diese befürchten, dass wegen der hohen Anforderungen an den Klimaschutz Arbeitsplätze verloren gehen. Die Europäische Volkspartei will darum ein Jahr vor den nächsten Wahlen ins EU-Parlament ihre Positionen anzupassen, um nicht klimaskeptische Wählerinnen an andere Parteien zu verlieren.

Warum spielt der Chef der Europäischen Volkspartei, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, im Vorfeld der Abstimmung so eine zentrale Rolle?

Der Präsident der Europäischen Volkspartei, der deutsche CSU Politiker Manfred Weber, möchte seiner Partei einen Kurswechsel verordnen in der Klima- und Umweltpolitik, weil er befürchtet, bei den nächsten EU-Wahlen Stimmen zu verlieren. Traditionell kann die EVP auf grosse Wähleranteile bei Bäuerinnen und Bauern zählen. Diese klagen aber seit Monaten zusammen mit ihren Landwirtschaftsverbänden über zu strenge Auflagen beim Klima- und Umweltschutz. Dieses Wählersegment hat Manfred Weber im Blick. Gleichzeitig strebt Weber die Aufnahme der italienischen Postfaschisten von Premierministerin Giorgia Meloni in seine Parteienfamilie an. Meloni zählt sich eher zum Lager der Klimaskeptiker und sie gewichtet die Umweltpolitik als nicht dringlich ein gegenüber beispielsweise der Asyl- uns Migrationspolitik.

Wie geht es weiter, wenn das EU-Parlament das «Gesetz zur Wiederherstellung der Natur» ablehnt?

Falls das EU-Parlament die Änderungsanträge seiner Kommission ablehnt, werden die Beratungen über das «Gesetz zur Wiederherstellung der Natur» abgebrochen. In diesem Fall müsste die EU-Kommission einen neuen Gesetzesvorschlag ausarbeiten. Weil das sehr lange dauern kann, würde sich die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes um viele Jahre verzögern. Denn die EU-Kommission hält ihren Gesetzesvorschlag als gut und notwendig, zumal die EU-Staaten und das Parlament mehr Schutz der Artenvielfalt in anderen Abstimmungen eingefordert hatten. Die EU-Kommission sagt, dass ohne ein solches Gesetz die EU die internationalen Verpflichtungen aus dem UNO-Abkommen nicht einhalten kann. Das wäre ein grosse Vertrauensverlust unter der ganz Europa leiden würde, weil die EU bisher auf globaler Ebene eine treibende Kraft für mehr Klima- und Umweltschutz war.

Warum sind viele europäische Bauern gegen das Gesetz?

Die Bauern-Lobby argumentiert seit Monaten mit zum Teil falschen oder irreführenden Behauptungen, das «Gesetz zur Wiederherstellung der Natur» würde vielen Landwirtschaftsbetrieben die Existenzgrundlage entziehen, weil die nutzbare Flächen reduziert werden müsse. Tatsächlich beschloss die EU in den letzten Jahren zahlreiche neue Auflagen zum Umweltschutz, welche den Landwirtschaftssektor zwingt, höhere ökologische Standards zu erfüllen. Alle Gesetze wurden von der Mehrheit der EU-Staaten und einer Mehrheit des EU-Parlamentes beschlossen. Auch im EU-Parlament vertreten viele EVP-Politikerinnen diese Position: Sie plädieren für einen Stopp bei der Umweltpolitik, um die Klimapolitik umsetzen zu können, was in sich schon anspruchsvoll genug sei. Die Gegenseite argumentiert, dass die Trennung von Klimaschutz und Schutz der Artenvielfalt keinen Sinn ergebe.

Warum reiste die Umwelt-Aktivistin Greta Thunberg nach Strasbourg?

Greta Thunberg reiste nach Strassburg, um vor dem EU-Parlament darauf hinzuweisen, dass es beim Klimaschutz, bei welchem sie eine gewichtige Fürsprecherin ist, um ein Zusammenspiel von Menschen und Natur gehe. Den Vertreterinnen der Landwirtschaft widerspricht sie. Es gehe beim «Gesetz zur Wiederherstellung der Natur» nicht darum, die landwirtschaftlich nutzbare Fläche zu reduzieren, sondern diese in Einklang mit der Natur zu bringen.

Warum stimmte eine Mehrheit der EU-Mitgliedsländer dem Gesetz bereits zu?

Die Zustimmung zum Gesetzesvorschlag im Rat der 27 Mitgliedsländer fiel erstaunlich deutlich aus. Auch zahlreiche Staaten, in deren Regierung Vertreter der Europäischen Volkspartei sitzen, stimmten für den Vorschlag der EU-Kommission, häufig mit dem Verweis, dass das Gesetz nötig sei, um die internationalen Verpflichtungen einhalten zu können. Es ist aber auch denkbar, dass eine erste grundsätzliche Zustimmung zum Gesetz noch nicht sehr verbindlich war. Denn alle Vertreterinnen der nationalen Regierungen wussten ja, dass das Gesetz anschliessend mit den Entscheidungen des EU-Parlamentes abgeglichen werden müssten.